Befragungstechniken
Autoren
Eva Hollenstein / Florian Liberatore / Tim Brand
Zusammenfassung
In der Vorbereitung, Durchführung und Erfolgsmessung von Lean-Transformationsprojekten sind Befragungen ein unverzichtbarer Bestandteil, um Präferenzen, Vorbehalte, Einstellungen, Ideen sowie die wahrgenommene Umsetzungsqualität zu erheben. Mittels Befragungen von Patienten kann untersucht werden, ob das Leitprinzip der Patientenorientierung im Sinne der Patientenpräferenzen umgesetzt wurde. Den Erfüllungsgrad der Systemorientierung, des Flussprinzips und der kontinuierlichen Verbesserung (Kaizen) als weitere Leitprinzipien der Lean-Vision können vor allem durch Befragungen der Mitarbeitenden beobachtet und dokumentiert werden. Folgende Schritte sind bei der Planung eines Befragungsprojekts zu beachten:
- Definition der Fragestellung
- Definition der relevanten Grundgesamtheit der Zielgruppe
- Auswahl der Befragungsteilnehmenden (Stichprobenbildung)
- Erstellung des Studiendesigns und des Fragebogens
- Datenerhebung
- Datenauswertung
- Ableitung von Handlungsempfehlungen
Zielsetzung / Leitfragen für die Praxis
- Warum sollte man Befragungen bei einem Lean-Projekt durchführen?
- Was muss bei Befragungen beachtet werden?
- Wann ist eine Befragung als repräsentativ zu bewerten?
- Wie kann man Befragungsdaten möglichst nutzenbringend auswerten?
Voraussetzungen / Notwendige Ressourcen
Für die Durchführung einer Befragung benötigt man entweder eigene Mitarbeitende mit guten Kenntnissen im Bereich Befragungen (typischerweise aus dem Bereich Qualitätsmanagement) oder externe Berater mit Kompetenz im Bereich Marktforschung. Für die Datenerhebung ist ein Tool für Online-Surveys hilfreich. Umfragen sind vor der Durchführung mit dem Betriebsrat rechtlich abzuklären. Bei Patientenbefragungen ist eventuell eine Ethikkommission einzuschalten. Für die Auswertung der Daten ist eine entsprechende Statistik-Software notwendig.
Detailbeschreibung des Tools
Definition der Fragestellung:
Es ist wichtig, die Untersuchungsfrage genau zu definieren, da sonst bei Befragungen die Tendenz besteht, nichtzielführende Fragen zu stellen. In der Definitionsphase sollte bereits klar sein, welche Auswertungen mit den Befragungsdaten möglich werden sollten, um Handlungsempfehlungen ableiten zu können.
Folgende Fragestellungen können bei Lean-Projekten gemäss Holden (2011) eine Rolle spielen:
- Wie ist der Reifegrad der Mitarbeitenden auf den Dimensionen «Können», «Wollen», «Dürfen» bei Lean-
Management? - Was erwarten Patienten bzw. Mitarbeitende von einer Lean-Transformation?
- Welche Ängste oder Vorbehalte bestehen gegenüber Lean-Management?
- Wie bewerten Mitarbeitende bzw. Patienten die nach dem Lean-Prinzip gestalteten Spitalprozesse?
- Was sind kritische Erfolgsfaktoren bei einer Lean-Transformation?
Definition der relevanten Grundgesamtheit der Zielgruppe und Auswahl der Befragungsteilnehmenden (Stichprobenbildung):
Im nächsten Schritt sollte die Zielgruppe der Befragung abgrenzt werden. Mitarbeitende, Patienten sowie Experten können je nach Fragestellung als Zielgruppe der Befragung in einem Lean-Transformationsprojekt relevant sein.
Bei der Auswahl der Befragten sollte auf die Repräsentativität geachtet werden (Petersen, 2014). Dazu kann man die zu Befragenden nach dem Zufallsprinzip oder nach Quoten auswählen (Voßmerbäumer, McKinsey & Company, 2004). Bei Letzterem werden gezielt Personen nach relevanten Kriterien wie z. B. Alter, Geschlecht, Lean-Vorkenntnisse, etc. ausgewählt, um die Meinungsvielfalt in der Grundgesamtheit möglichst gut abzubilden.
Wenig repräsentativ sind dagegen Befragungen mit ungesteuerter Auswahl, da sich dann eventuell zum Beispiel nur besonders unzufriedene oder sehr motivierte Personen beteiligen. Damit könnte ein verzerrtes Bild in Bezug auf alle Personen der Zielgruppe entstehen. Dieses Problem besteht beispielsweise beim Einsatz von Beschwerdefragebögen.
Erstellung des Studiendesigns und des Fragebogens:
Man kann zwischen folgenden Grundtypen bei Lean-bezogenen Befragungen unterscheiden (Petersen, 2014):
- Befragungen von Experten (5-10 Personen, die aufgrund ihrer Erfahrung zu bestimmten Themen Stellung beziehen können)
- Patientenbefragungen (Präferenzen, Einstellungen, wahrgenommene Qualität, Zufriedenheit)
- Befragungen der Mitarbeitenden (Reifegrad, Kompetenzen, Erwartungen, Ängste Zufriedenheit)
Als Fragetechniken können gemäss Satzinger (2002) offene sowie geschlossene Fragetypen zum Einsatz kommen, wobei die Antwortmöglichkeiten wie folgt gestaltet sein können (Petersen, 2014):
- Freifelder bzw. freie Antwortmöglichkeit (z. B. «Was fällt Ihnen zum Thema ein?»)
- Binäre Antwortformate (ja/nein)
- Rating-Skalen (z. B. «Wie finden Sie das aufgestellte Kaizen-Board auf einer Skala von 1 = sehr schlecht bis 7 = sehr gut?»)
- Rankings («Bitte ordnen Sie die folgenden Lean-Tools danach, wie wichtig diese Ihnen erscheinen.»)
Wie die Antwortmöglichkeiten gestaltet sind, hat einen erheblichen Einfluss auf die Datenauswertungsmöglichkeiten. Dies sollte man sich bereits bei der Fragebogengestaltung bewusstmachen.
Datenerhebung
Bei der Datenerhebung kann zwischen Offline- und Online-Befragungen sowie persönlichen, telefonischen und schriftlichen Befragungen unterschieden werden. Die Wahl der richtigen Erhebungsmethode erfolgt nach Aspekten wie Befragungskosten, Anonymitätsbedürfnissen und verwendeter Befragungstechnik (Voßmerbäumer, McKinsey & Company, 2004). Bei der Datenerhebung muss gewährleistet werden, dass es keine verzerrenden Einflüsse auf das Antwortverhalten sowie bei der Auswahl der Befragten gibt.
Datenauswertung
Die Datenauswertung hängt davon ab, ob offene Fragetechniken oder standardisierte Fragebögen zum Einsatz kommen. Grundsätzlich sind aber die Kriterien der Reliabilität, Objektivität und Anonymität zu beachten. Einzelnen Antworten sollte kein Gewicht beigemessen werden, vielmehr zählt das Ergebnis über die Gesamtheit der Befragten. Deutlichen Mehrwert zeigen solche Datenauswertungen, bei denen Abhängigkeitsanalysen zwischen mehreren Variablen vorgenommen werden. Diese können mit verschiedenen Statistikprogrammen durchgeführt werden. Die daraus resultierenden Ergebnisse offenbaren Bedeutungsgewichte einzelner Aspekte, kausale Zusammenhänge sowie zu differenzierende Segmente.
Ableitung von Handlungsempfehlungen
Die abgeleiteten Handlungsempfehlungen sollten auf den Aussagen der Befragungsergebnisse basieren. Um die Objektivität dieser Handlungsempfehlungen sicherzustellen, ist es wichtig, die Ergebnisse nicht gemäss subjektiver Vorstellungen zu interpretieren. Weiterhin ist zu beachten, dass Befragungen Momentaufnahmen darstellen. Daher sollten sich Handlungsempfehlungen auf einen kurzfristigen Zeitraum beziehen. Eine weitere Möglichkeit ist die Durchführung wiederkehrender Befragungen, um Trends und Entwicklungen in einem bestimmten Zeitraum abbilden zu können.
Befragungen sind ein Tool, mit dem der Umsetzungsgrad der Leitprinzipien Patientenorientierung, Systemleistung und Flussprinzip bei Lean-Transformationen im Rahmen von Erfolgsmessungen getestet werden kann (Graban, 2012). Auch beim Einsatz von Simulationszonen können Befragungen als eine Evaluationsmethode verwendet werden. Zu Beginn von Lean-Transformationsprojekten kann damit eine Bestandsaufnahme bei Mitarbeitenden, Patienten erfolgen. Für einige Evaluationsziele sind jedoch Beobachtungstechniken geeigneter.
Stärken und Schwächen
Stärken
- Ermöglicht die Erhebung von Präferenzen, Einstellungen, Bewertungen und Ideen (Pawils et al., 2012).
- Ermöglicht es, die Innensicht eines Spitals auf ein Lean-Transformationsprojekt zu gewinnen.
- Ist ein wichtiges Instrument der Erfolgsmessung bei Lean-Projekten.
Schwächen
- Birgt hohes Fehlerpotential bei der Fragebogengestaltung, Auswahl der Befragten und Interpretation der Ergebnisse.
- Ist nicht geeignet für die Erhebung von tatsächlichem Verhalten.
- Gefahr von Verzerrungen durch Non-Response Bias, Social Desirability Bias und Sanktionierungsangst.
Quellenzitierung
Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:
Liberatore, F., Hollenstein, E. & Brand, T. (2016). Befragungstechniken. In: A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge: Edition 2018–2019. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch
Literatur
Graban, M. (2012). Lean Hospitals - Improving Quality, Patient Safety, and Employee Satisfaction. 2. Auflage. New York: Productivity Press.
Holden, R. J. (2011). Lean thinking in emergency departments: a critical review. Annals of emergency medicine, 57(3), S. 265-278.
Pawils, S., Trojan, A., Nickel, S., & Bleich, C. (2012). Kunden- beziehungsweise Patientenzufriedenheit. Bundesgesundheitsblatt-Gesundheitsforschung-Gesundheitsschutz, 55(9), S. 1183-1190.
Petersen, T. (2014). Der Fragebogen in der Sozialforschung. UTB Soziologie, Politik, Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaft 4129. Konstanz: UVK-Verl.-Ges.
Satzinger, W. (2002). Informationen für das Qualitätsmanagement im Krankenhaus: zur Funktion und Methodik von Patienten- und Personalbefragungen. Medizinische Klinik, 97(2), S. 104-110.
Voßmerbäumer, McKinsey & Company (2004). Beurteilungsstichprobe. In: D. K. Tscheulin & B. Helmig (Hrsg.): Gabler Lexikon Marktforschung. Wiesbaden: Springer-Verlag.