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Schweiz - Optimierung der Physioabteilung einer Rehabilitationsklinik

Autoren

Edgar Heim / Prof. Dr. Alfred Angerer / Sandra Signer Thöne

Ausgangslage

Land: Schweiz

Spital: Bürgerspital Solothurn

Spitalbereich: Rehabilitations- und Rheumazentrum

Problemstellung

Unzählige Methoden des Lean-Managements helfen, bestehende Prozesse auf Verschwendung zu überprüfen und diese zu optimieren. Da die Literatur zum Thema zu einem grossen Teil aus der Industrie stammt, haben Praktiker aus dem Gesundheitswesen vielfach Schwierigkeiten, einen passenden Einstieg in die Thematik zu finden. Diese Fallstudie zeigt anhand eines konkreten Beispiels der Physiotherapieabteilung einer Schweizer Rehabilitationsklinik, wie eine Optimierung systematisch und zielführend vorgenommen werden kann.

Das Rehabilitations- und Rheumazentrum des Bürgerspitals Solothurn (Schweiz) hat einen Leistungsauftrag für neurologische und muskuloskelettaler Rehabilitation. Es besteht aus einer Abteilung mit 28 stationären Betten, einem Ambulatorium mit ärztlichen Sprechstunden und einer Tagesklinik. Die Klinik gehört zu einem öffentlich-rechtlichen Krankenhausverbund mit mehreren Standorten für die somatische und psychiatrische Gesundheitsversorgung. Das beschriebene Physiotherapieinstitut ist innerhalb des Standorts Solothurn für ambulante und stationäre Patienten mit somatischen Gesundheitsbeschwerden zuständig. Die Gesamtleistung des Instituts war bezüglich der Budgetkennzahlen in den vergangenen drei Jahren gut, in bestimmten Bereichen (zum Beispiel Auslastungsverteilung, Überzeiten, Team) wurde jedoch von der Institutsleitung ein klares Verbesserungspotenzial identifiziert. Ausgangslage für das Projekt war einerseits ein Strategiewechsel auf der Geschäftsleitungsebene, der zu einem Stopp beim Ausbau der Rehabilitationsabteilung führte, andererseits stieg gleichzeitig der Leistungsdruck bei den Mitarbeitenden durch Mehrarbeit stetig an. Zu den zeitlichen Engpässen kam Raumknappheit hinzu. Wie bei vielen anderen Kliniken auch, waren die bestehenden Prozesse über die Jahre hinweg organisch gewachsen. Die Ausgangslage präsentierte sich mit verschiedenen, teilweise unklaren und unterschiedlich wahrgenommenen Problembereichen. Vor allem im Hinblick auf die Zukunft mit steigendem Budgetdruck wollte man vorbereitet sein. Die Leitung der Physiotherapie und der Rehabilitation erarbeiteten ein Optimierungsprojekt, das von den Verantwortlichen die Freigabe zur Umsetzung erhielt.

Projektbeschreibung

Projektjahr: 2012

Projektdauer: 6 Monate

Vorbereitung

Das vorliegende Projekt orientierte sich am Optimierungs-Vorgehensmodell der ZHAW. Es besteht aus einer systematischen Herangehensweise mit den Kernschritten (1) Ist-Aufnahme und Analyse, (2) Definition der Soll-Ziele, (3) Prozessoptimierung und (4) Implementierung (vgl. Abbildung 1). Die vier Schritte werden am Beispiel des Projekts im Bürgerspital vorgestellt.

Abbildung 1: Vorgehensmodell zur Analyse und Optimierung der Prozesse

Schritt 1: Ist-Aufnahme und Analyse

Die detaillierte Ist-Aufnahme und Ist-Analyse bildeten den Ausgangspunkt für das Projekt. Um eine reale Situation vor Ort zu erfassen und ein möglichst genaues Bild des Alltags zu erhalten, standen die bekannten Problembereiche im Fokus der Betrachtung. Dies kann allerdings nur gelingen, wenn einerseits die Mitarbeitenden eng einbezogen und andererseits die richtigen Werkzeuge zum Einsatz kommen. Eine kleine Auswahl dieser einfachen, aber wirkungsvollen Werkzeuge ist in Abbildung 2 ersichtlich.

Zunächst ging es darum, die Tätigkeiten der Physiotherapeuten im stationären Rehabilitationsalltag mit dem Swimlane-Diagram zu erfassen und visuell darzustellen. Mittels dieser zweidimensionalen Darstellung wird deutlich, welche Tätigkeiten die Physiotherapie ausführt. Die Tätigkeiten wurden in einer zeitlichen Abfolge (x-Achse) und Zuständigkeiten (y-Achse) abgetragen und identifizierte Probleme direkt in die Darstellung integriert.

Die Praxis zeigte, dass die meisten Probleme in der sogenannten Ein- und Austrittsphase des Rehaverlaufs auftraten. Zum Beispiel war die Durchführung des Zielinterviews in der Eintrittsphase mit komplexen Leitlinien verbunden, jedoch zeitlich zu eng fixiert. Das führte immer wieder zu einer Überforderung der Patienten und sorgte auch bei den Physiotherapeuten für Terminkonflikte und unnötige Doppelarbeiten. Nach der Identifizierung der Probleme konnten deren Ursachen und Abhängigkeiten mit Hilfe von Ursache-Wirkungs-Diagrammen, sogenannten Fishbone-Diagrams (oder auch Ishikawa-Diagramm), ermittelt werden.

Geeignet ist diese Form der Analyse bei Problemen mit verschiedenartigen oder nicht auf den ersten Blick ersichtlichen Ursachen. Im Praxisbeispiel zeigten sich wiederkehrende, an verschiedenen Schnittstellen auftretende Ursachen. Die häufigsten Schnittstellenprobleme wurden detaillierter untersucht. So ergaben sich immer wieder Doppelspurigkeiten in der Dokumentation, die sowohl zeitaufwendig für das Personal, als auch für die Patienten waren. Aufgrund der selbstauferlegten Regel, dass die gesamte Ist-Aufnahme vom Team durchgeführt und ohne finanziellen Zusatzaufwand erfolgen sollte, wurden nur Daten erhoben, welche die Mitarbeitenden im Tagesgeschäft selbst erfassen konnten. Dazu dienten Methoden wie eine einfache «Strichliste» oder subjektive Einschätzungen mit Hilfe einer «Visual Analog Skala».

Abbildung 2: Auswahl an Tools für Prozesserfassung & Bewertung in Schritt 1

Abbildung 3: Beispiel eines Radardiagramms zur Beurteilung einzelner Leistungskriterien (Ist-Situation)

Die Daten wurden ausgewertet und grafisch dargestellt. Damit konnten «Bauchgefühle» bestätigt, neu gewertet oder gar widerlegt werden. Beispielsweise hatten die Mitarbeitenden vor dem Projekt das Gefühl, lange auf einen freien PC warten zu müssen, um die Patienteninformationen eingeben zu können. Die Datenauswertung zeigte jedoch, dass solche Wartezeiten vor einem blockierten PC eher die Ausnahme waren. Am Ende der Ist-Aufnahme lag eine mit Daten hinterlegte, nachweislich objektive Liste mit 15 Hauptproblemen als gute Grundlage für die Erarbeitung und Priorisierung von Lösungsvarianten vor.

Schritt 2: Definition Soll-Ziele

In diesem Schritt wurde festlegt, in welche Richtung die Projektoptimierung verlaufen soll. Zunächst wurden im Team zahlreiche Verbesserungsideen zu den identifizierten Problemen gesammelt. Die Herausforderung bestand darin, aus den vielen Verbesserungsvorschlägen die vielversprechendsten auszuwählen, um daraus konkrete Projektziele zu definieren. Drei verschiedene Methoden halfen im Praxisbeispiel dabei, die konkreten Projektziele festzulegen:

Schlussendlich wurde eine Nutzwertanalyse durchgeführt, um eine Priorisierung der Veränderungsmassnahmen zu erreichen. Bei dieser qualitativen Methode zur Entscheidungsfindung definiert das Team gemeinsam Bewertungskriterien (zum Beispiel Akzeptanz der Lösung bei den Mitarbeitenden, Auswirkungen auf die Behandlungsqualität) und gewichtet diese. Die Gewichtung hilft bei der Ermittlung der Lösung, die den meisten Nutzen stiftet. All diese Überlegungen führten zu einer differenzierteren Zieldefinition für den Soll-Zustand. So wurde in dem Praxisprojekt unter anderem das Ziel gesetzt, die Qualität der Behandlungsphase bei gleichbleibenden Kosten zu erhöhen.

Schritt 3 und 4: Prozessoptimierung und Implementierung

Nun war der Zeitpunkt gekommen, um aus dem Kleinprojekt des Teams ein echtes Veränderungsprojekt zu machen. Die aufbereiteten Analysedaten und Verbesserungsvorschläge wurden den Verantwortlichen vorgestellt und das Projekt offiziell – mit der Unterstützung des Managements – gestartet. Es galt, mögliche Projektrisiken zu eruieren und entsprechende vorbeugende Massnahmen zu treffen. Die grössten Risiken lagen im Changemanagement und konnten mit einer proaktiven Kommunikation und unter Einbezug aller Betroffenen entschärft werden. Die Bearbeitung der Problembereiche folgte dem einfachen Leitprinzip «EVA - eliminieren, vereinfachen, automatisieren». Dabei werden zunächst unnötige Arbeitsschritte ganz eliminiert (zum Beispiel alle Doppelspurigkeiten). Die verbleibenden Tätigkeiten werden so stark wie möglich vereinfacht (zum Beispiel einfach ausfüllbare Formulare gestalten, eindeutige und verständliche Prozessanleitungen erstellen). Erst danach wird über eine Automatisierung des Prozesses nachgedacht.

Die Optimierungen stiessen beim Management und bei den Mitarbeitenden auf hohe Akzeptanz. Erste positive Veränderungen waren schon nach drei Monaten spürbar, etwa die Verkürzung der Bearbeitungszeit der Austrittsberichte um ca. 20 Prozent.

Resultat

Aus diesem kleinen, aber wirkungsvollen Prozessoptimierungsprojekt können verschiedene Schlussfolgerungen gezogen werden:

  • Niedriger Aufwand: Es gibt einfach anwendbare Instrumente, die für ein Bottom-up getriebenes Verbesserungsprojekt in einer Physiotherapie geeignet sind. Diese eignen sich auch bei komplexeren Vorgaben mit interdisziplinären Schnittstellen in einer Rehabilitationseinrichtung. Des Weiteren verursacht der Einsatz dieser Tools nur marginale Kosten.
  • Einfachheit und Akzeptanz: Viele dieser Instrumente sind sehr einfach und lassen sich ohne grosse Vorkenntnisse von den Mitarbeitenden anwenden. Dies schafft Akzeptanz und Transparenz bei den Betroffenen. Zu empfehlen ist jedoch ein Coaching der Mitarbeitenden durch einen erfahrenen Prozessmanager, um die korrekte Nutzung der Tools und eine bestmögliche Durchführung des Projektes zu gewährleisten.
  • Identifizierung von Problemen: Ein wichtiger Teil des Optimierungs-Vorgehensmodells ist die Ist-Analyse. Die im Praxisbeispiel angewandten Instrumente eigneten sich für verschiedene Arten von Problemen, aber auch für verschiedene Ebenen der Problemerfassung (Überblick, Detailsicht, Ursachenforschung, Priorisierung sowie die Suche nach sich in verschiedenen Bereichen wiederholenden Aspekten bei Problemen, etc.). Dies half, das Projekt zielgerichtet zu planen und durchzuführen. Dabei stellte sich die Visualisierung von Tätigkeiten sowohl für die Betroffenen (zum Verständnis und Akzeptanz) als auch für die Projektverantwortlichen (zum Erfassen und Priorisieren) als wichtiger Grundstein heraus.
  • Keine Abkürzungen: Im beschriebenen Projekt hat sich der hohe zeitliche Aufwand als Nachteil der Methode erwiesen. Die Versuchung, Abkürzungen zu nehmen und direkt Lösungen zu präsentieren, war allgegenwärtig. Es braucht Vorgesetzte, die an das Gelingen der Optimierung glauben und den Mitarbeitenden die notwendige Zeit einräumen.
  • Werkzeuge anpassen: Etwas mutig waren die Adaptionen einiger Instrumente im Praxisbeispiel. Die Projektleitung kannte die Tools nur aus der Theorie. Die Anpassung und Anwendung der Werkzeuge in der Praxis gestaltete sich aber leichter als angenommen.

Zusammenfassend hat das Projekt deutlich aufgezeigt, dass eine einzelne Person mit einer Idee eine Veränderung anstossen kann. Es lohnt sich, vorgängig genügend Zeit für die Analyse aufzuwenden, um ein Problem gut zu verstehen. Dieses Wissen stellt den Grundstein für die Erarbeitung von nachhaltigen Lösungen dar.

Quellenzitierung

Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:

Angerer, A., Heim, E. & Signer Thöne, S. (2016).Optimierung der Physioabteilung einer Rehabilitationsklinik. In A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge: Edition 2018–2019. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch.

Literatur

Angerer, A., Auerbach, H., & Früh, M. (2012): SpitalPuls 2012 – Prozess- und Changemanagement in Schweizer Spitälern. Studienreport. ZHAW: Winterthur.

 Angerer, A., & Richard, M. (2011): Prozesse verändern im Krankenhaus – mit Changemanagement nachhaltige Wirkung erzielen. Das Krankenhaus, 103(10), S. 994 ff.

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Kontakt

Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie (WIG)
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