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Deutschland - Optimierung der Hebammenlaufwege im Kreisssaal

Autoren

Lynn Strunk

Ausgangslage

Land: Deutschland

Spital: Universitätsspital NRW

Spitalbereich: Frauenklinik

Problemstellung

In den letzten Jahren ist eine steigende Geburtenanzahl in Deutschland zu verzeichnen. Dem Strukturwandel der erhöhten Anzahl an Geburten wirkt das betreute Universitätsspital entgegen. So ist für das Jahr 2022 die Inbetriebnahme eines neuen Mutter-Kind-Zentrums geplant. Dies erfordert einen Neubau der geburtshilflichen Abteilung. Durch eine abgestimmte Planung der Raumanordnung im Krankenhaus können Laufwege vermieden werden und eine verbesserte Effizienz der Leistungserstellung erreicht werden (Lohfert, 2005). Es besteht die Notwendigkeit des kontinuierlichen Überdenkens der bestehenden Organisation. Das Lean-Management bietet durch seine ablaufbezogene Sichtweise zeitgemässe Lösungsansätze.

Ziel des Projektes ist es, einen Entwurf inklusive Handlungsempfehlungen einer ablauforientierten Optimierung der Raumanordnung des Kreisssaales zu liefern. Dieser Entwurf wird von den Architekten genutzt und bietet Anregungen, wie die Zimmeranordnung des neuen Kreisssaales effizient und prozessorientiert gestaltet werden sollte. Ausgangspunkt ist eine empirische Strukturtätigkeitsanalyse der Hebammen im Kreisssaal. Infolgedessen werden die Laufwege der Hebammen untersucht. Ergänzt wird die Analyse von Einflussfaktoren, die bei der Gestaltung von Prozessen eine wesentliche Rolle spielen. Beispielsweise werden organisatorische Unterbrechungen im Prozessablauf (z.B. Suchen der Patientenakte, Warten auf Eintreffen des Arztes), oder auch Transportwege (z.B. Transportweg des Patienten in den OP-Saal, Transport von Medikamenten in das Lager) aufgezeichnet.

Projektbeschreibung

Projektjahr: 2016

Projektdauer: 6 Monate

Projektplanung und Durchführung

Hauptziel des Projektes ist es, den Architekten einen Entwurf zur optimalen prozessorientierten Raumanordnung des neuen Kreisssaales zu liefern. Es wurde ein Projektplan erstellt, welcher die notwendigen Schritte aufzeigt (nach Binner, 2010):

  1. Durchführung teilstrukturierter Interviews mit Hebammen und Stationsleitung
  2. Beobachtende Begleitung inkl. Prozessdokumentation
  3. Auswertung der Prozessdokumentation
  4. Visualisierung der Ist-Analyse
  5. Ableiten von Schwächen der Ist-Analyse
  6. Erstellen von Handlungsempfehlungen
  7. Skizzieren eines Entwurfes zur optimalen Raumanordnung

Ziel der teilstrukturierten Interviews (Schritt eins) war es, ineffiziente Arbeitsabläufe zu erkennen. Um dieses Ziel zu erreichen, muss eine zielgerichtete Befragung auf Grundlage eines vorbereiteten Fragebogens stattfinden (Binner, 2010). Für die Identifizierung von Prozessabläufen ist es von Vorteil, einzelne Mitarbeitende oder Arbeitsgruppen als interne Experten zu befragen. Dadurch werden nicht nur augenblickliche Situationen oder Begebenheiten betrachtet, sondern auch Erfahrungen und Expertise (Greiling; Hofstetter, 2002). Die beobachtende Begleitung (Schritt zwei) fand über mehrere Tage statt und wurde mithilfe einer Strukturtätigkeitsanalyse durchgeführt (s. Tabelle 1). Dabei wurde eine Prozessdokumentation erstellt. Durch die während der Dokumentation aufgenommenen Daten wurden Auswertungen erstellt (Schritt drei), welche die Ineffizienz bestehender Prozesse belegen. Ausgewertet wurden beispielsweise der Anteil der notwendigen und vermeidbaren Laufwege, unterteilt nach Aufnahmegrund. Notwendige Laufwege fallen durch Haupttätigkeiten an, wie beispielsweise die Durchführung einer Untersuchung. Vermeidbare Laufwege entstehen beispielsweise durch organisatorische Unterbrechungen wie das Aufsuchen der Patientenakte. Abbildung 1 zeigt das Ergebnis der Auswertung. Durch Hinzunahme der Prozessdokumentation konnte anschliessend die Ist-Situation visualisiert werden (Schritt vier). Aus der Dokumentation sowie aus der Visualisierung der Ist-Analyse konnten Schwächen abgeleitet werden (Schritt fünf). Prozessschwachstellen können auf verschiedenen Ebenen vorkommen: Organisatorische Schwachstellen, Informationsschwachstellen, ablaufbezogene Schwachstellen, logistische Schwachstellen, Kommunikationsschwachstellen, arbeitsmittelbezogene Schwachstellen etc. (Binner, 2010). Anschliessend wurden Defizite im betrachteten Prozess lokalisiert und Lösungsansätze zur Schwachstellenbeseitigung gesucht (Schritt 6). Zum Schluss wurde ein möglicher Entwurf zur prozessorientieren Raumanordnung angefertigt (Schritt 7).

Abbildung 1: Anteil der notwendigen und vermeidbaren Laufwege, gemessen nach Aufnahmegrund der Gebärenden

Tools

Mithilfe einer Strukturtätigkeitsanalyse wurde die Prozessdokumentation durchgeführt. Die Werte wurden anschliessend in eine Excel-Tabelle eingefügt. Mithilfe der Filterfunktion können verschiedenste Bereiche analysiert und ausgewertet werden.

Tabelle 1: Ausschnitt der Prozessdokumentation

Bezeichnung
Ablaufschnitt
Differenzierung
Anmerkung
Strecke in m
Zeit in sek
Hebamme
Gegenstand
Abgabe?
Vermeidbar?
Umkleide
Umziehen



6.1
4.4
HT
X
-
-
Sozialraum
Übergabe



40.8
29.4
HT
X
-
-
Doku
Akte suchen

Patientin 1
Normalgeburt
21.4
15.4
AU
E (A)
ja
ja
KRS1
Patientin begrüssen, kurze Anamnese

Patientin 1


10.7
7.7
HT
E (H)
-
-
Doku
Akte suchen
Patientin 1


10.7
7.7
AU
E (A)
ja
ja
CTG1
Patientin begrüssen, kurze Anamnese

Patientin 2
geplante Sectio
13.2
9.5
HT
E (H)
-
-
Lager
Vorbereitung Blutabnahme
Patientin 1


11.1
8.0
HT
E (H)
-
-
KRS1
Blut abnehmen
Patientin 1


12.8
9.2
HT
E (H)
-
-
Lager
Instrumente wegräumen

Patientin 1

12.8
9.2
NT
E (A)
ja
-
Doku
Blut beschriften, Akte schreiben

Patientin 1

9.4
6.8
HT
E (H)
-
-
Briefkasten
Blut wegbringen

Patientin 1

2.8
2.0
NT
T (A)
ja
-
KRS1
CTG anlegen

Patientin 1
Kollegin übernimmt P. anschliessend
19.4
14.0
HT
E (H)
-
-
Doku
Besprechung mit Ärzten

Patientin 2

10.7
7.7
ZT (I)
P (H)
-
-

Umsetzung

Aus dem visualisierten Ist-Zustand (Abbildung 2) wurden Schwachstellen abgeleitet und optimiert. Folgende Schwachstellen wurden beispielsweise identifiziert:

In Abbildung 2 wurde der Ist-Zustand visualisiert. Die rote Fläche stellt alle Strecken der Hebamme während der Beobachtung (8h-Schicht) dar. Die Zeichnung wurde massstabsgetreu angefertigt. So lässt die Dicke der roten Fläche die auf Häufigkeit der zurückgelegten Strecke schliessen. Betrachtet man einen Ausschnitt im Detail, so kann jede einzelne Strecke nachverfolgt werden (Abbildung 3).

Abbildung 2: Visualisierter Ist-Zustand

Abbildung 3: Herangezoomter Ausschnitt

Resultat

Mithilfe der Visualisierung der Laufwege ist es gelungen, den Ist-Zustand darzustellen und Ineffizienzen aufzudecken. Anhand der Prozessanalyse stellt sich heraus, dass ca. 25% aller Laufwege der Hebamme vermeidbar wären.  Durch eine strategische Anordnung der Räume können Laufwege eingespart werden. Unter anderem wurden folgende Handlungsempfehlungen erstellt:

  • Insgesamt sollte mit dem Trend der steigenden Geburten im Universitätsspital und der derzeitigen Raumknappheit die Raumanzahl angepasst werden (s. Entwurf).  
  • Der Dokumentationsraum sollte vergrößert werden und zentralisiert in der Mitte des Kreisssaales als Durchlaufzimmer angeordnet sein.
  •  Es empfiehlt sich, das Hauptlager (dient dem Zubereiten von Medikamenten und dient als Gerätelager) mit dem Dokumentationsraum zu verbinden. So entsteht ein zentraler Stützpunkt. Hier sollten auch die Computer zur Eingabe der Patientenakte sowie der Drucker angeordnet sein. Der Stützpunkt dient zudem zum gemeinsamen Austausch von Patienteninformationen, vor allem zwischen Hebamme und Ärzten. Vermeidbare Laufwege zum Einholen von Informationen werden gespart.
  • Die Untersuchungsräume sollten sich nahe der Dokumentation befinden. Es wurde analysiert, dass die Hebammen nach fast jedem Gang in die Untersuchungsräume anschließend in die Dokumentation laufen. Ausserdem sollten die Kreisssäle in unmittelbarer Nähe der Untersuchungsräume liegen. Es wäre sinnvoll, jeweils eine «Einheit» aus Kreisssaal und nebenliegenden Untersuchungszimmer zu errichten. Somit kann jede Hebamme vor Dienstbeginn einer «Einheit» zugeteilt werden.
  • Das Wartezimmer sollte dezentralisiert werden und ein zusätzliches Wartezimmer für Angehörige eingeführt werden. Grund dafür ist die hohe Unruhe im Wartezimmer und das Stören von Patienten/Angehörigen im Prozessablauf der Hebamme.
  • Ausserdem ist es sinnvoll, die Entsorgung sowie den sterilen Lagerraum so anzuordnen, dass sie für den Lieferdienst auch von außerhalb des Kreißsaales zugänglich sind. So können Container direkt in die Räume geliefert werden und müssen nicht von den Hebammen draußen abgeholt und durch den Kreissaaltrakt transportiert werden.

Im Anschluss wurde eine Skizze zur optimalen Raumanordnung erstellt (Abbildung 4). Durch die Analyseauswertung haben die Architekten die Möglichkeit, den Neubau prozessorientiert auszurichten. Das Hauptziel des Universitätsspitals, nämlich das fortschrittlichste Deutschlands zu werden, rückt durch die Anwendung der Lean-Methoden einen Schritt näher.

Abbildung 4: Entwurf zur Neuanordnung des Kreissaales

Quellenzitierung

Bitte zitieren Sie diese Quelle wie folgt:

Strunk, L. (2018). Optimierung der Hebammenlaufwege im Kreisssaal. In A. Angerer (Hrsg.), LHT-BOK Lean Healthcare Transformation Body of Knowledge: Edition 2018–2019. Winterthur. Abgerufen von www.leanhealth.ch.

Literatur

Binner, H. (2010). Prozessmanagement von A bis Z, 1. Auflage. Darmstadt: Hanser.

Greiling, M., & Hofstetter, J. (2002). Patientenbehandlungspfade optimieren - Prozeßmanagement im Krankenhaus, 1. Auflage. Kulmbach: Baumann Fachverlag.

Lohfert, P. (2005). Methodik der Krankenhausplanung, Hsrg.: Lohfert & Lohfert AS, Kopenhagen.

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